Eine Nachlese zum bwcon Hightec Summit
Wie sollten wir vorgehen, um eine Entwicklung wie die Digitalisierung einzuschätzen? Und welche Risiken bestehen im Fall von Fehleinschätzungen? Wie sehr sind wir eigentlich noch Gestalter oder nur noch Getriebene einer vermeintlichen Zwangsläufigkeit?
Das sind Fragen, die mich anlässlich des bwcon Hightec Summit am 08.11.2016 in Stuttgart beschäftigten. Während eine Branche sich selbst feierte, begab ich mich auf die Suche nach dem Wozu …
Vom Imperativ des Machbaren
Die Digitalisierung – und in ihrem Gefolge das 5G-Netz – wird kommen, erklärt uns Bruno Jacobfeuerborn, Technikchef der Deutschen Telekom. Es sei eher eine Frage, ob wir sie als Chance oder Bedrohung wahrnehmen. Die Generation Z jedenfalls betrachte Konnektivität bereits als ein Grundrecht und Roboter als praktische Hilfe im Alltag – für diese Menschen ist die Digitalisierung bereits Umwelt und nicht mehr Technik. Da ist etwas dran.
Und dennoch beschleicht mich ein Unbehagen, wenn in seinem Vortrag nur ein einziges Mal der Begriff Lebensqualität aufblitzt – die provokante Frage von Moderator Dieter Fritz (SWR) nach der Kundenzufriedenheit ignoriert er geflissentlich. Bislang haben wir Technologien entwickelt, um einen Nutzen zu stiften. Inzwischen tun wir es, weil es geht. Bestimmt die Gesellschaft die gewünschte Technik, oder formt die Technik die Gesellschaft? fragt Dieter Fritz.
Technologie statt Vertrauen
User Experience. Customer Centricity. Es ist ja nicht so, dass die ITK-Branche für die Orientierung am Kunden keine Worte fände. Und doch stellt sich auch hier eine ganz eigentümliche Schieflage ein: Produkte sollen so entwickelt werden, dass der Kunde gar kein Bedürfnis nach Beratung verspürt. Klar, selbsterklärend ist gut; Entdecken statt Bedienungsanleitung ist auch gut. Aber stiehlt sich die Technologie nicht aus der Verantwortung, wenn sie den Menschen in einem Kokon von Interfaces isoliert?
Der Einsatz von Blockchain mag diese Geringschätzung des Zwischenmenschlichen verdeutlichen. Auch hier liegt eine richtig gute Idee zugrunde: sensible Informationen wie Verträge oder Finanztransaktionen liegen verteilt und rückverfolgbar im Netz und nicht auf einem zentralen, für Manipulation und Hackerangriffen anfälligen Server. Oliver Gahr von IBM erläutert eindrucksvoll die Vorzüge eines solchen „Shared Distributed Ledger“, eines konsensbasierten, transparenten und auditierbaren Registers. Und er resümiert: Technologie statt Vertrauen. So gut es ist, die IT-Sicherheit als zentralen Aspekt einer erfolgreichen digitalen Transformation zu steigern, so riskant finde ich die Abkehr vom Ideal des ehrbaren Kaufmanns.
Zumindest Christine Regitz von SAP setzt hier einen Kontrapunkt: Der Fokus auf die User Experience (UX) dient nicht allein dem monetären Nutzen durch mehr Produktivität und Datenqualität, sondern vielmehr auch dem zwischenmenschlichen Nutzen von mehr Beziehungsqualität und Loyalität. Weiter führt sie aus, dass sich Business und Consumer Software einander annähern: Die Bedienung und Datenaufbereitung werden intuitiver, allgemeinverständlicher, bildhafter. Gut so! Endlich ein Sopran im summenden Chor der Technokraten: wenn wir die Komplexität der schönen neuen Welt begreifen wollen, sollten wir die bildhaften, synästhetischen und storyorientierten Fähigkeiten unserer rechten Hirnhälfte besser nutzen.
Können wir digital?
Und damit sind wir bei unseren Kompetenzen, unserer Haltung zur digitalen Transformation. Gerade ein Bundesland wie Baden-Württemberg mit seiner Industriedichte ist verletzlich: die heute noch prägende Automobilindustrie mag innerhalb des nächsten Jahrzehnts verschwunden oder zumindest durch grundlegend andere Anbieter überformt sein. Auch hochqualifizierte Arbeitsplätze können durch Automatisierung ersetzt werden – sicher ist hingegen, wer Komplexität managt und dazu kraft des menschlichen Gehirns jede Artificial Intelligence toppt. Deswegen ist mitunter nicht ganz eindeutig, ob wir mehr Angst vor dem Verschlafen einer Technologierevolution oder vor der Veränderung unserer Arbeitswelt haben.
Angeregt durch das erfreulich kritische Hinterfragen von Dieter Fritz schält sich die höhere Kooperationsbereitschaft zwischen Partnern am Markt als eines der positiven Merkmale des Wandels heraus. Denn die trägen Tanker haben es auf ihre Weise ebenso schwer wie die manpower-limitierten Mittelständler. Der Begriff Coopetition fällt, um diese teils sehr asymmetrischen Partnerschaften und Ökosysteme aus Old und New Economy, Konzern und Garage zu beschreiben.
Dass Digitalisierung ein Mindset, eine Haltung, voraussetzt, hat man auch bei Porsche erkannt. Und da spielen die Innovations- und Fehlerkultur eine wichtige Rolle, wie CIO Sven Lorenz erläutert. Auch das ist ein eher unbemerkter Zwischenton auf dieser sonst so technikbegeisterten Konferenz: wo Sensoren und Automatisierung als Rezept für null Fehler und Risikovermeidung gefeiert werden, sagt nun einer, wir sollten schnell genug scheitern und daraus lernen. Hoppla – weiter im Programm. Doch er spricht weiter über Technologiefähigkeiten und digitale Talente – und manch einem mag nun dämmern, dass eine digitale Transformation sehr viel mit Menschen und der Entwicklung ihrer Kompetenzen zu tun hat. Wir werden Digitalisierung lernen (müssen). Nun spätestens will auch die Sinnfrage beantwortet sein …